Die blinden Gelehrten und der Elefant. Eine Sufi-Geschichte.

Als ein Sufi von seinem Schüler gefragt wurde, wer Gott sei und vor allem wie er sei, sah er kurz von seinem Buch auf und lachte. Dann erzählte er ihm folgende Geschichte:

Ein König, der selber noch nie einen Elefanten gesehen hatte, schickte die weisesten Männer seines Reiches, erfahrene und im Alter erblindete Gelehrte, in Begleitung eines jungen Dieners nach Indien. Sie sollten herausfinden, was es mit diesem sagenumwobenen Tier auf sich hatte. Und so machten sich die fünf auf die Reise nach Indien und wurden von ihrem Helfer zu einem Elefanten geführt. Sie standen um das Tier herum und versuchten, sich durch langsames und behutsames Ertasten ein genaues Bild von ihm zu machen.

Als sie zurück zu ihrem König kamen, berichteten sie ihm.

Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel betastet. Er sprach: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm, furchterregend und stark.“
Der zweite hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sagte: „Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer.“
Der dritte Gelehrte widersprach ihm: „Ganz im Gegenteil: Er ist mächtig und fest, man könnte ihn eine dicke Säule nennen.“ Er hatte ein Bein des Elefanten untersucht.
Der vierte Weise sagte: „Meine Erfahrung ist: Ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende“, denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet.
Und der fünfte Weise berichtete seinem König: „Also, ich kann aufgrund meiner Erfahrung sagen, ein Elefant ist wie eine riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf.“ Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt.

Als der junge Mann, der sie begleitet hatte, das hörte, fing er an zu lachen – und hörte schier gar nicht mehr auf. Da wurde der König zornig und verstieß ihn wegen fehlender Ehrerbietigkeit vom Hofe.

Der alte Sufi hielt kurz inne und lachte nun seinerseits. Dann versenkte er sich wieder in seine alten Schriften.